Der Bayer

 

Ich gestehe: Ich bin ein Mischling, also nur halb ein Bayer und zwar durch die von meinem Vater vererbten Blutsbande. Die andere Hälfte meines Erbguts stammt von meiner Mutter aus Norddeutschland. Ich bin also sozusagen eine gespaltene Persönlichkeit, was zwar gewisse Nachteile hat, aber ich kann andererseits mit preußischer Neutralität einen Blick auf den Bayern in mir und auf die um mich herum werfen.Wenn ich mich also hier mit dem Wesen des Bayern befasse, können Sie sicher sein, ein objektives, wenn auch etwas grobes Bild jener Menschen gezeichnet zu bekommen, die außerhalb ihres natürlichen Umfelds teils mit Bewunderung, teils aber auch herablassend mit skeptischer Distanz betrachtet werden.

Zunächst einmal: Was ist ein Bayer? Diejenigen, die keine richtigen Bayern sein wollen, sind auch keine: Die nennen sich Franken. Richtige Bayern sind also nur die sogenannten Altbayern, die oft auch erst im Alter erst ihre wahre Ausprägung erfahren vom Gamsbart am Hut bis hinunter zu den Haferlschuhen. Dennoch gibt es natürlich auch junge Altbayern, die man in Massen auf dem Oktoberfest sehen kann. Bemerkenswert sind hier besonders die jungen Mädchen, die es verstehen ihren Busen auch ohne Brustoperation so ins Bild zu setzen, dass man ihn hierzulande als "Holz vor der Hütten" zu bezeichnen pflegt.

Doch bevor wir uns in solche Details verlieren, wollen wir streng wissenschaftlich vorgehen und die Frage aufwerfen: Woher kommen die Bayern bzw. wie sind sie entstanden? Da gibt es bösartige Spötter, die behaupten, die Vorfahren der Bayern seien die Fußkranken der Völkerwanderung gewesen, Leute also, die schlapp machten, als ihre Stammesgenossen in wärmere Gefilde umzogen. Das ist natürlich, wie bayrische Wissenschaftler inzwischen eindeutig nachgewiesen haben, pure Verleumdung. Im übrigen braucht man für diese Erkenntnis keine Wissenschaftler, denn jeder, der auch nur einmal hier in Bayern Urlaub gemacht hat, wird mit Ludwig Ganghofer sagen: „Wen Gott liebt, den lässt er fallen in dieses Land.“ Noch drastischer sagt es dieser Spruch: „Extra Bavariam non est vita et si est vita, non est ita.“ (Außerhalb von Bayern gibt es kein Leben, und wenn es Leben ist, dann ist es kein solches.) Die Bayern sind also ein besonders gescheites Volk, das dort geblieben ist, wo die Welt am schönsten ist.

Es gibt aber auch eine andere Geschichte, von der leider nicht festzustellen war, von wem sie stammt, die aber einleuchtend berichtet, wie die Bayern entstanden sind:

Der Liebe Gott wandelte in Menschengestalt auf der Erde und kam bei einem Holzschnitzer vorbei. Der schnitzte gerade an einer Holzfigur, die den Adam darstellen sollte. Der Liebe Gott lobte das Kunstwerk und fand es sehr lebendig. Darauf seufzte der Holzschnitzer:

„Er bräuchte halt noch den göttlichen Odem.“

Der Liebe Gott war gut gelaunt und blies der Figur den göttlichen Odem ein. Daraufhin sprang der zu Mensch gewordene hölzerne Adam auf und rannte in Richtung Süden davon.

Da erschrak der Holzschnitzer und rief:

„Um Gottes Willen! Der ist ja noch gar nicht fertig, sondern noch ganz roh und ungeschliffen!“

„Das macht nichts“, entgegnete der Liebe Gott, „dann soll er halt der Stammvater der Bayern werden.“

 

Ja, so san's (so sind sie) die Bayern. Die Preußen finden sie oft etwas grob, die Bayern selbst bezeichnen sich eher als „gradraus“, also direkt, wie dieses Beispiel zeigt:

Ein Arzt diagnostiziert bei einer Frau eine schwere Krankheit und kommt auf die Idee, dass es am besten wäre, wenn ihr Mann ihr das vorsichtig beibringen würde. Er bestellt also den Mann in die Praxis und erklärt ihm, wie er am schonendsten vorgehen soll. Zu Hause fragt ihn seine Frau:

„Na, was hat er denn g'sagt?“

„Sterben muasst!“

 

Man sieht an dieser Episode auch, dass die Bayern die Erfinder des Energiesparens sind. Deshalb reden sie nur das Nötigste und stoßen dadurch oft auf Unverständnis. So sagte eine Preuße, dem ein Bayer in der Trambahn versehentlich auf die Füße trat:

„Können Sie sich nicht entschuldigen, Mann?“

Darauf der Bayer:

„I hab ja eh ‚öha!‘ g'sagt!“

Der Bayer hat also ein einziges Wort - wenn es denn überhaupt eines ist - für das, was Preußen in einem umständlichen Satz ausdrücken müssen.

 

Die Bayern sind fromm, allerdings auf ihre Art. Als Kind erfuhr ich zu meinem Entsetzen, dass ich nicht den protestantischen Glauben meiner Mutter mitbekommen hatte, sondern katholisch bin. Das war für mich eine großen Enttäuschung, weil ich sonntags ist die Kirche musste. Das Schlimmste am Katholizismus aber war für mich die Fronleichnamsprozession. Sie dauerte stundenlang und wir Kinder standen in der heißen Sonne und lobten mit vorher eingeübten Liedern das allerheiligste Altarsakrament. Auf diese Lieder reagiere ich auch jetzt noch in meinem hohen Alter allergisch. Die einzelnen Stationen der Prozession lagen vor den drei Gasthäusern des Dorfs. Dort ließen sich dann immer die Männer im Schatten der Kastanienbäume nieder und tranken ihr Bier, während wir Kinder einem Hitzschlag nahe waren und von Nonnen bewacht wurden, dass wir nicht davon liefen. Immerhin freute ich mich darauf, später auch einmal ein Mann zu werden. Dann brauchte ich auch nicht mehr in die Kirche zu gehen, denn von den Männern sah man nur diejenigen im Hause Gottes, die so alt waren, dass sie demnächst vor ihm persönlich erscheinen mussten. Die anderen saßen im Gasthaus nebenan. Als brav und fromm erzogenes Kind empfand ich dies als Gotteslästerung und stellte einmal einen mir bekannten Bauern zur Rede, als er das Gasthaus verließ. Da klärte er mich auf:

„Bua, du hast ja koa Ahnung. Gottes Segen ist so stark, dass er Wände durchdringen kann. Deshalb hat man in Bayern die Gasthäuser nahe an die Kirchen hin gebaut, damit die Bauern, die hart arbeiten müssen, es sich dort während der Messe gemütlich machen können.“

Das, was hier zum Ausdruck kommt, ist die sogenannte „Liberalitas Bavariae“.

Eine besondere religiöse Veranstaltung fand am Karfreitag im Dorfgasthaus statt. Man trank das „Graberlbier“, ein dunkles Bier natürlich. Dabei wurde kein Wort gesprochen, sondern jeder schaute nur traurig in seinen Bierkrug.

Wir sehen also, dass die Frömmigkeit der Bayern etwas zwiespältig ist. Das kommt auch in der Art zum Ausdruck, wie sie fluchen:

„Kreuzkruzinesen! Sakra! Jessas!“ Und dergleichen mehr. Was den Fremdling verwundert, ist die Tatsache, dass der Bayer das Heiligste, das ihm seine Religion bietet, zum Fluchen verwendet. So etwas tut kein anderes Volk. Um vor himmlischen Strafen verschont zu bleiben, werden die heiligen Worte entweder nur angedeutet oder bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Wahrscheinlich wollen die Bayern dadurch den Herrgott auf etwas aufmerksam machen, denn sie glauben offenbar, dass sie sein Augenmerk auf sich lenken, wenn sie so beginnen, als würden sie gegen das 2. Gebot verstoßen.

Nun zu einem anderen Kapitel: dem bayrischen Dialekt, wie oft fälschlich gesagt wird. Tatsächlich handelt es sich aber vom preußischen – also objektiven – Standpunkt aus betrachtet um eine Fremdsprache, die man wie jede andere lernen muss. Was allerdings die Preußen verzweifeln lässt, ist die Tatsache, dass sie sich als unfähig erweisen, diese Sprache jemals einigermaßen richtig aussprechen zu können. So trainieren sie oft stundenlang vergeblich, um gewisse Standardsprachtests bestehen zu können. Kein Preuße ist in der Lage, das Wort „Oachkatzlschwoaf“ (=Eichkätzchenschwanz) richtig auszusprechen. Dasselbe ist es mit dem „Vitrioiöi“ (=Vitriolöl).

Tröstlich für die Preußen ist, dass sich sogar die Bayern mit ihrer Muttersprache nicht immer richtig verständigen können, wie die folgende Begebenheit belegt:

Die Lehrerin fragt in der Schule nach Wörtern, die im Bayrischen anders sind als im Hochdeutschen.

Die Liesl meldet sich und sagt: „Milli statt Milch!“

„Sehr gut!“ sagt die Lehrerin.

Auch Fritzchen weiß – ausnahmsweise – mal etwas:

„Dadürrdada!“

Die Lehrerin sagt:

„Das hab' ich ja noch nie gehört. Wer sagt denn so was?“

„Mei Papa! Die Nachbarin hat ihn g'fragt, warum ihr frisch gepflanzter Apfelbaum die Blattl hängen lässt. Dann hat er g'sagt: ‚Giaß'n muaßt 'n halt, sonst dadürrt er dir!‘“

Da fällt auch dem Seppi etwas ein: „Diholialleo!“ Auf den verständnislosen Blick der Lehrerin erläutert er: „Des hat mei Papa g'sagt, als meine Mutter ihn gefragt hat, ob er die Urlaubsgäste am Bahnhof abholt. Da hat er geantwortet: ‚Die hol' i alle o!‘“

Der Bayer ist zwar stolz darauf, so zu sein, wie er ist.

„Mia san nia!“ pflegt er zu sagen.

Aber vom Standpunkt der Evolutionstheorie aus betrachtet bildet er den Übergang vom Österreicher zum Menschen. Deshalb entwickelt der einfache Bayer dem Preußen gegenüber oft das Gefühl der Unterlegenheit allein schon deshalb, weil dieser sich in der Regel in gepflegtem Hochdeutsch auszudrücken versteht, dem der Bayer oft nur ein „Ha?“ entgegenzusetzen vermag. Wenn daher Bayern und Preußen in einem Gasthaus zusammentreffen, so kann das beispielsweise so ablaufen:

Die Bayern sitzen in der einen Ecke beim Schweinebraten. Als sie ihn nachsalzen wollen, scheitern sie, weil der Salzstreuer verstopft ist. In der anderen Ecke essen Preußen ihr Beefsteak. Auch sie wollen noch ein wenig Salz dazu geben, aber auch ihr Salzstreuer ist verstopft. Daraufhin nimmt einer von ihnen einen Zahnstocher und macht die Löcher des Streuers frei. Die Bayern schauen staunend zu und einer sagt: „I mag's ja net, die Preißen. Aber oans muaß man ihnen lassen: Technisch san's uns überlegen.“

So etwas schmerzt natürlich die Bayern und deshalb rächen sie sich, indem sie die Preußen „derblecken“. Das Wort ist unübersetzbar, weil darin ein Stück bayrischer Seele zum Ausdruck kommt. Am besten lässt sich das Derblecken mit Reinlegen erklären oder besser noch mit einem Beispiel. So haben die Bayern den Wolperdinger erfunden, ein Fabelwesen, mit dem sie die Preußen erschrecken. Er steht ausgestopft überall herum und sieht aus wie ein Murmeltier mit Geweih oder so ähnlich. Je nach Phantasie seines Schöpfers kann ein Wolperdinger bissig, schrecklich oder merkwürdig aussehen.

 

Die Bayern haben eine eigene Art von Logik, die zwar von manchen belächelt wird, aber doch die Grundlage dafür ist, dass Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern winfach Spitze ist. Wie diese Logik funktioniert, sei am besten mit einem Beispiel geschildert:

In einem Gasthaus sitzen die Leute beieinander. Plötzlich stellt einer fest:

"Hier stinkt's!"

Ein anderer weiß, warum:

"Des wer'n die Hund sei!"

"Es sind aber keine da!"

"Die wer'n scho no kommen."

 

Der Bayer hat eine Wesensart, die ihm im allgemeinen negativ ausgelegt wird. Er ist schnell grantig. Dies ist aber Ausdruck seiner besonderen Sensibilität. Er möchte gern seine Ruhe haben, seine königlich-bayrische natürlich, und so ist alles, was diese Ruhe stört, ein Grund zur Aufregung. Während ein Preuße sich beispielsweise freut, wenn sein Telefon läutet, und er dies dann auch beim Gespräch zum Ausdruck bringt, ist es beim Bayern anders: Er wird grantig und deshalb grantelt er halt auch ins Telefon. Dieses Granteln ist keineswegs böse gemeint, sondern eine einfache Abwehrmaßnahme gegen weitere Ruhestörungen, also sozusagen Notwehr. Der Bayer ist eben sensibler als die Angehörigen anderer deutscher Volksstämme, und das versucht er den anderen beizubringen.

 

Wenn der Bayer ein Tier wäre, würde man ihn unter Artenschutz stellen. Aber die Bayern halten nichts davon; sie betreiben keine Inzucht, sondern heiraten auch Artfremde. Die einen regen sich darüber auf, die anderen nehmen es gelassen.

So jammerte eine Frau, ihre Tochter Zenzi wolle einen Schwarzen heiraten.

Der Kommentar einer Nachbarin: „Trösten Sie sich, jedenfalls ist's koa Preiß.“

Eine andere sagt: „Wieso? Es gibt doch auch bei der CSU nette Menschen.“

 

Und damit sind wir bei der Politik: Der schlichte Bayer ist brav und unpolitisch. Deshalb macht er bei der Wahl sein Kreuz dort, wo es hingehört: nämlich dort, wo „christlich“ draufsteht. Das wird ihm auch noch vor der Wahl noch schnell in der Kirche nahegelegt, denn dort wird jeweils vor dem Gang zur Urne ein Hirtenbrief der Bischöfe verlesen.

Der Bayer ist immer noch königstreu, auch wenn der König schon lange tot ist. Zwar hat der Bayer nichts gegen die Anarchie, „aber nur mit einem g'scheiten Anarchen.“

Die Bayern ham a Schneid. Deshalb bilden sie überall Gebirgsschützenkompanien, die sich trachtlerisch kostümieren und sehr martialisch aussehen. Sie sind bereit, ihr Vaterland zu verteidigen, nur fehlen im Augenblick die richtigen Gegner. Auf Preußen zu schießen ist ja zum einen verboten; zum anderen braucht man sie als Feriengäste. Deshalb bedeutet ein „Gästeschießen“ nicht, dass auf Gäste geschossen wird, sondern dass die Feriengäste auch mit schießen dürfen.

So, nun hoffe ich, dass ich Ihnen den Bayern so einigermaßen zutreffend beschrieben habe. Für Rückfragen stehe ich Ihnen natürlich gern zur Verfügung. Allerdings fürchte ich, dass ich Ihnen dann eine Antwort geben muss, die man hier häufig hören kann:

„Ja, mei!“

 

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